Stellungnahme zu dem Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz
für ein Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz

THEMA

Digitalisierung der Justiz

AUTOR

Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)

VERÖFFENTLICHT AM

16. November 2023

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A. Vorbemerkungen

Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen e.V. (BDVR) begrüßt das Anliegen des Gesetzentwurfs, die Digitalisierung in der Justiz weiter zu fördern. In Anbetracht des rasanten Transformationsprozesses, der aktuell auch die Arbeit der Verwaltungsgerichte bundesweit prägt, und der Tatsache, dass ein Großteil der bestehenden Regelungen zum elektronischen Rechtsverkehr und der elektronischen Gerichtsakte – von kleineren Anpassungen aus dem Jahre 2021 abgesehen – noch aus dem Jahre 2017 stammt, erscheint eine Aktualisierung und Anpassung an die praktischen Bedürfnisse einer digitalen Justiz dringend geboten. Die in dem vorgelegten Referentenentwurf enthaltenen Regelungs-vorschläge sind aus Sicht des BDVR sachgerecht. Sie bedürften indes der Ergänzung um weitere Regelungen, um mit den sich wandelnden Anforderungen der gerichtlichen Praxis Schritt zu halten.

B. Zu den Regelungen des Referentenentwurfs

I. Zu Art. 28 Nr. 1 (§ 55a Abs. 3 VwGO-E – Übermittlung eingescannter Erklärungen)
Die in Aussicht genommene Option, einen unterschriebenen Antrag oder eine unterschriebene Erklärung in gescannter Form als elektronisches Dokument einzureichen, wird begrüßt. Damit wird die Übermittlung eigenhändig zu unterzeichnender Erklärungen wie etwa die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Prozesskostenhilferecht auf eine rechtssichere Grundlage gestellt.

II. Zu Art. 28 Nr. 2 (§ 55b VwGO-E – Hybridaktenführung)
Zu begrüßen ist auch die geplante ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Weiterführung von Papierakten in elektronischer Form. Für einen zügigen Umstieg auf eine rein elektronische Aktenführung stellt eine solche Hybridaktenführung eine sinnvolle Variante dar. Ein Nachscannen großer Aktenbestände ist mit erheblichen praktischen Problemen verbunden. Bereits jetzt wird in zahlreichen Bundesländern eine Hybridaktenführung für zulässig gehalten. Insofern schafft die geplante Regelung die dringend gebotene Rechtssicherheit.

III. Zu Art. 28 Nr. 3 (§ 55e VwGO-E – Formfiktion)
Die Fiktion eines formgerechten Zugangs ist der Erleichterung des wirksamen Zugangs empfangsbedürftiger Willenserklärungen zu dienen bestimmt. Sie setzt eine im Einklang mit den prozessualen Vorgaben erfolgte elektronische Einreichung des Dokuments bei Gericht voraus. Damit wird der Bedeutung der Nutzung eines sicheren Übermittlungsweges angemessen Rechnung getragen.

IV. Zu Art. 28 Nr. 4 (§ 177 Abs. 1 VwGO-E – Ausnahmen für Verschlusssachen)
Die geplante Ausnahme von der elektronischen Aktenführung für Verschlusssachen stellt eine dringend gebotene Abhilfe für das Problem dar, dass weder die EGVP-Infrastruktur noch die Verfahrenslösungen derzeit für die Übermittlung und Verarbeitung von Verschlusssachen, die höher als VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestuft sind, geeignet sind. Die Erstellung, Führung, Übermittlung und Verarbeitung betreffender Akten in papierner Form wird ausdrücklich begrüßt. Dies gilt auch für die großzügige Bemessung des Übergangszeitraums. Gerichtssoftware, die in den folgenden Jahren entwickelt wird, sollte von vornherein auch für höhere Geheimhaltungsgrade zugelassen sein.

V. Zu Art. 43 (§ 2 Abs. 1 Satz 3 ERVV-E – technische Anforderungen an PDF- und TIFF-Dateien)
Die geplante Umwandlung des § 2 Abs. 1 Satz 3 ERVV in eine Soll-Regelung erscheint vor dem Hintergrund der erfolgten Anpassungen durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 5. Oktober 2021 zwar konsequent. Allerdings ist es bedauerlich, dass damit die Prüfung der Formwirksamkeit von der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs, ob ein Dokument zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist (§ 55a Abs. 2 Satz 1 VwGO), durch die Gerichte selbst abhängig gemacht wird. Hier wäre es wünschenswert, dass durch klare und verbindliche normative Formvorgaben Rechtssicherheit für sämtliche Beteiligte geschaffen wird.

C. Weitergehender Regelungsbedarf

I. Übermittlung von Behördenakten
Regelungsbedarf besteht aus Sicht des BDVR über den Referentenentwurf hinaus insbesondere hinsichtlich der Übermittlung von Behördenakten.

1. Einheitliche Standards für die Übermittlung von Behördenakten
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet. Die behördlichen Verwaltungsvorgänge werden in nahezu jedem verwaltungsgerichtlichen Verfahren angefordert. Während die Strafaktenübermittlungsverordnung für das strafgerichtliche Verfahren konkrete Standards festlegt, in welcher Form die Übermittlung stattzufinden hat, fehlt es an entsprechenden konkreten Vorgaben für das verwaltungsgerichtliche Verfahren. Dies führt zu einem Nebeneinander unterschiedlichster Aktenformate und Übertragungswege. Nur wenige Behörden – wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder die Bundesagentur für Arbeit – übersenden Akten in einer Form, wie sie für Gerichte elektronisch gut bearbeitbar ist, d.h. per EGVP in Form von Einzeldokumenten mit einem entsprechenden XJustiz-Datensatz. Ansonsten gehen elektronisch übermittelte behördliche Akten bislang regelmäßig in Form einzelner, übergroßer PDF-Dateien ein, die mühsam „durchgescrollt“ werden müssen. Häufig werden diese Dateien nicht einmal per XJustiz als Akte gekennzeichnet, so dass sie an den Gerichten nicht entsprechend automatisiert weiterverarbeitet werden können.
Damit Justiz und Verwaltung in die Lage versetzt werden, Nachrichten ohne explizite Unterstützung des jeweiligen Empfängerstandards durch den jeweiligen Absender auszutauschen, bedarf es eines „Mapping“, mithin der Transformation eines XDomea-Schemadatensatzes in einen XJustiz-Datensatz bzw. eines XJustiz-Datensatzes in einen XDomea-Schemadatensatz unter Berücksichtigung der spezifischen Protokollinformationen beider Standards. Dieses Mapping mag durch den Einsatz eines die verschiedenen Standards verbindenden Konverters realisiert werden, der eine Versendung in Form von mit Metadaten strukturierten Einzeldokumenten ermöglicht. Die Steuerung dieses technischen Transformationsprozesses bedarf einer auch normativen Begleitung.

2. Bereitstellung des Inhalts behördlicher Akten in einer staatlichen Cloud zum Abruf durch das Gericht
Gerichte werden zunehmend von prozessbeteiligten Behörden gebeten, die beigezogenen Akten aus einer Cloud elektronisch abzurufen. Die geltende Rechtslage lässt einen solchen Abruf nicht zu. § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO verwendet den Begriff der „Vorlage“ der Akten, der sich von der „Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf“ im Sinne von § 100 Abs. 2 Satz 1 VwGO unterscheidet. Sofern der elektronische Rechtsverkehr eröffnet ist und die Behörde hieran teilnimmt, erfolgt die Übermittlung der elektronischen Verwaltungsakte regelmäßig auf den zugelassenen elektronischen Übermittlungswegen, insbesondere per EGVP. Ein bloßes Zur-Verfügung-Stellen etwa in einer von der Behörde betriebenen Cloud-Lösung genügt der Vorgabe des § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht. Das Gericht ist daher gehindert, den Inhalt der Akten aktiv über Download-Portale oder Cloud-Lösungen abzurufen. „Vorlage“ bedeutet „Übersendung“ und gerade nicht Download.
Gleichwohl stößt die Übermittlung gerade umfänglicher behördlicher Akten über die zugelassenen Übermittlungswege immer wieder an Kapazitätsgrenzen, was etwa dazu führt, dass Akten künstlich in mehrere Teil-PDF-Dateien aufgespalten werden. Vor diesem Hintergrund mag erwogen werden, als einen sicheren Weg zur Vorlage elektronisch geführter Verwaltungsakten, die Bereitstellung des Inhalts der mit Metadaten strukturierten Akten zum Abruf von einer geeigneten Cloud durch Ergänzung des § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorzusehen. Für eine entsprechende Ausgestaltung des § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO könnte Anleihe bei § 100 Abs. 2 Satz 1 VwGO genommen werden. Allerdings wäre insoweit sicherzustellen, dass allein solche Cloud-Lösungen als sicherer Bereitstellungsort akzeptiert werden, die von staatlichen Stellen gehostet werden („Landescloud“). Nur so kann die Sicherheit des Datenabrufs gewährleistet werden.

II. Streichung von De-Mail als sicheren Übermittlungsweg
Mit dem EBO und den OZG-Nutzerkonten existieren mehrere sichere Übermittlungswege nach § 55a Abs. 4 VwGO, die von natürlichen Personen und Organisationen zur Kommunikation mit den Gerichten genutzt werden können. Mit „Mein Justizpostfach“ existiert hierzu auch eine einfache und kostenfreie Möglichkeit zur Eröffnung eines Kontos.
Im Lichte dessen erscheint eine Weiterführung von De-Mail als Übermittlungsweg nicht mehr geboten. Die Vielzahl der Wege ist vielmehr geeignet, zu Verwirrung zu führen. Eine Übersendung per De-Mail ist zudem für die Betroffenen fehleranfällig. Nach § 55a Abs. 4 Nr. 1 VwGO gilt nur eine absenderbestätigte De-Mail als über einen sicheren Übermittlungsweg übermittelt. An dieser Voraussetzung scheitern natürliche Personen nicht selten. Überdies können Informationen sowohl im Nachrichtentext als auch in den Anhängen enthalten sein. Dies schafft Abgrenzungs- und Wirksamkeitsfragen, die bei den übrigen Übermittlungswegen nicht auftreten.

Berlin, den 16. November 2023

Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)