Stellungnahme zu den Verfahren 2 BvL 1/19 und 2 BvL 4/19
Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Verfahren 2 BvL 1/19 und 2 BvL 4/19 zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Besoldung und Versorgung von Richtern.
Der BDVR teilt die in den Aussetzungs- und Vorlagebeschlüssen des Verwaltungsgerichts Chemnitz aufgezeigten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der landesrechtlichen Regelungen zur R1- und R3-Besoldung der Klägerin bzw. des Klägers in den streitbefangenen Jahren.
Das sächsische Besoldungsgesetz verstößt gegen das Alimentationsprinzip. Die Besoldungshöhe ist in Sachsen aus den in den Vorlagebeschlüssen dargestellten Gründen evident unzureichend.
Ob die Bezüge evident unzureichend sind, muss anhand einer Gesamtschau verschiedener Kriterien und unter Berücksichtigung der konkret in Betracht kommenden Vergleichsgruppen geprüft werden. Diese Gesamtschau vollzieht sich in zwei Schritten: Auf der ersten Prüfungsstufe wird mit Hilfe von fünf in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Alimentationsprinzip angelegten Parametern ein Orientierungsrahmen für eine grundsätzlich verfassungsgemäße Ausgestaltung der Alimentationsstruktur und des Alimentationsniveaus ermittelt (Vergleich der Besoldungsentwicklung mit der Entwicklung der Tarifentlohnung im öffentlichen Dienst, des Nominallohnindex sowie des Verbraucherpreisindex, systeminterner Besoldungsvergleich und Quervergleich mit der Besoldung des Bundes und anderer Länder). Beim systeminternen Besoldungsvergleich ist neben der Veränderung der Abstände zu anderen Besoldungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist. Ein Verstoß gegen dieses Mindestabstandsgebot betrifft insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Die indizielle Bedeutung für die verfassungswidrige Ausgestaltung der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe ist dabei umso größer, je näher diese an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt und je deutlicher der Verstoß ausfällt.
Auf der zweiten Prüfungsstufe sind die Ergebnisse der ersten Prüfungsstufe mit den weiteren alimentationsrelevanten Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung zusammenzuführen. Werden mindestens drei Parameter der ersten Prüfungsstufe erfüllt, besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation, die im Rahmen der Gesamtabwägung sowohl widerlegt als auch erhärtet werden kann. Werden umgekehrt bei allen Parametern die Schwellenwerte unterschritten, wird eine angemessene Alimentation vermutet. Sind ein oder zwei Parameter erfüllt, müssen die Ergebnisse der ersten Stufe, insbesondere das Maß der Über- beziehungsweise Unterschreitung der Parameter, zusammen mit den auf der zweiten Stufe ausgewerteten alimentationsrelevanten Kriterien im Rahmen der Gesamtabwägung eingehend gewürdigt werden. Ergibt die Gesamtschau, dass die zur Prüfung gestellte Besoldung grundsätzlich als verfassungswidrige Unteralimentation einzustufen ist, bedarf es auf der dritten Stufe der Prüfung, ob dies im Ausnahmefall verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann. Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, juris.
Diese Maßstäbe hat das vorlegenden Gericht seinen Entscheidungen zugrunde gelegt und umfangreiches Daten- und Zahlenmaterial ausgewertet und festgestellt, dass in den Jahren 2011 bis 2014 drei der vorgenannten Parameter und in den Jahren 2015 und 2016 zwei Parameter, diese aber in besonders deutlicher Weise, erfüllt wurden. Bei seiner umfassenden Prüfung hat das Verwaltungsgericht Chemnitz auch die Nachzahlungen berücksichtigt, die der sächsische Gesetzgeber nach der für das Jahr 2011 bereits festgestellten Unteralimentation für den Zeitraum Januar 2011 bis Juni 2016 veranlasst hatte.
Das Ergebnis des Verwaltungsgerichts nach einer Gesamtabwägung und Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, dass die Alimentation nicht genügt, um Richterinnen und Richtern der R1 bzw. R3 Besoldung nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung dieses Amtes für die Allgemeinheit einen der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards angemessenen Lebensunterhalt zu ermöglichen, ist folgerichtig.
Angesichts der klaren Vorgaben der Rechtsprechung zur angemessenen Alimentation ist deren mangelnde Beachtung durch die Landesgesetzgeber nicht nachvollziehbar, zumal sie damit in nicht unerheblicher Weise der Sicherung der Attraktivität des Amtes eines Richters für entsprechend qualifizierte Kräfte schaden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es, wie der BDVR in der Vergangenheit bereits mehrfach deutlich gemacht hat, zunehmend schwieriger wird, ausreichend qualifizierten Richternachwuchs zu gewinnen.
Für den Vorstand des BDVR
Dr. Karoline Bülow
Berlin, den 14.10.2025