Stellungnahme zu dem Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimatfür ein Gesetz zur Beschleunigung der Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften
Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) bedankt sich für die Gelegenheit, zu dem Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat für ein Gesetz zur Beschleunigung der Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften Stellung zu nehmen.
Ziel des Gesetzentwurfs ist unter anderem eine spürbare Beschleunigung von Disziplinarverfahren wegen aller Dienstvergehen, die statusrelevante Maßnahmen zur Folge haben. Eine rasche und effektive Ahndung von Dienstvergehen soll das Ansehen des öffentlichen Dienstes und das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit und die Integrität der Verwaltung stärken. Zugleich sollen die von einem Disziplinarverfahren ausgehenden Belastungen für die betroffenen Beamtinnen und Beamten so kurz wie möglich gehalten werden. Künftig sollen sämtliche Disziplinarmaßnahmen durch Disziplinarverfügung ausgesprochen werden. Die Verlagerung des Ausspruchs auch schwerer Disziplinarmaßnahmen auf die behördliche Ebene soll einen schnelleren Abschluss des Disziplinarverfahrens ermöglichen. Eine Vollkontrolle der Disziplinarverfügung durch die Verwaltungsgerichte soll den Anspruch der Betroffenen Beamtinnen und Beamten auf effektiven Rechtschutz sichern. Ob das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel der Beschleunigung der Disziplinarverfahren tatsächlich erreicht werden kann, erscheint indes zweifelhaft.
Den nachfolgenden Ausführungen sei zum einen vorangeschickt, dass die nicht selten lange Dauer eines Disziplinarverfahrens oftmals wesentlich durch dessen in § 22 Abs. 1 Satz 1 BDG vorgegebene Aussetzung für die Dauer eines parallel betriebenen Strafklageverfahrens begründet ist. Zum anderen ist zu konstatieren, dass der Instanzenweg gerade in Disziplinarverfahren, die die Höchstmaßnahme zum Gegenstand haben, regelmäßig ausgeschöpft wird. Die Erwartung, dass Disziplinarverfügungen in solchen Verfahren weniger angegriffen werden, steht damit in Widerstreit zu den Erfahrungen der gerichtlichen Praxis. In Fällen in denen die Höchstmaßnahme verfügt wird, ist daher allenfalls für einen sehr untergeordneten Anteil der Verfahren von dem Eintritt der Bestandskraft einer behördlichen Verfügung ohne nachfolgendes Gerichtsverfahren auszugehen.
1. Der Referentenentwurf konterkariert das selbst gesetzte Beschleunigungsziel dadurch, dass er Regelungen entfallen lässt, die eine nachhaltige Beschleunigung der Disziplinarverfahren ermöglichen. So wird gemäß Art. 1 Nr. 20 Ref-E unter anderem § 55 BDG aufgehoben. Nach § 55 Abs. 1 BDG hat der Beamte bei einer Disziplinarklage wesentliche Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Klageschrift innerhalb zweier Monate nach Zustellung der Klage oder der Nachtragsdisziplinarklage geltend zu machen. Gemäß § 55 Abs. 2 Halbs. 1 BDG kann das Gericht wesentliche Mängel, die nicht oder nicht innerhalb der Frist des § 55 Abs. 1 BDG geltend gemacht werden, unberücksichtigt lassen, wenn ihre Berücksichtigung nach seiner freien Überzeugung die Erledigung des Disziplinarverfahrens verzögern würde und der Beamte über die Folgen der Fristversäumung belehrt worden ist. Nach § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG kann das Gericht dem Dienstherrn zur Beseitigung eines wesentlichen Mangels, den der Beamte rechtzeitig geltend gemacht hat oder dessen Berücksichtigung es unabhängig davon für angezeigt hält, eine Frist setzen. Wird der Mangel innerhalb der Frist nicht beseitigt, wird das Disziplinarverfahren gemäß § 55 Abs. 3 Satz 3 BDG durch Beschluss des Gerichts eingestellt. § 55 BDG ermöglicht damit eine rasche Beseitigung von Mängeln innerhalb des bisherigen Disziplinarverfahrens. Die geplante Abschaffung der Norm wirft die Frage auf, ob wesentliche Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens, die bislang im Rahmen des Verfahrens nach § 55 BDG beseitigt werden konnten, künftig stets zur Rechtswidrigkeit der behördlichen Disziplinarverfügung mit der Folge führen, dass diese im Rahmen eines Anfechtungsklageverfahrens aufzuheben ist (vgl. die Begründung auf S. 43 zu Art. 1 Nr. 22 Ref-E). Offen ist in diesem Zusammenhang auch, ob auch formelle Mängel, die nicht von den §§ 45 f. VwVfG erfasst werden, (etwa in Gestalt der Nichterfüllung der Anforderungen des § 33 Abs. 2 BDG-E) die formelle Rechtswidrigkeit der Verfügung bewirken und damit zu deren Aufhebung führen.
2. Die Rechtsfolgen von Fehlern der Behörde im behördlichen Disziplinarverfahren und ihre Relevanz für die disziplinarische Ahndung des Dienstvergehens wirft auch im Übrigen Fragen auf.
a) Anzuführen ist insoweit etwa § 17 BDG. Liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, so hat der Dienstvorgesetzte gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG die Dienstpflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Auch im bisherigen System lässt sich ein Verstoß der Behörde gegen die aus § 17 BDG folgende Pflicht zur rechtzeitigen Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht im Rahmen des Verfahrens nach § 55 BDG beseitigen. Ein solcher Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens führt indes nach der derzeitigen Praxis bei einer bloßen Pflichtenmahnung zur Milderung der Disziplinarmaßnahme, die vom Gericht bestimmt wird. Bei der vom Entwurf verfolgten Systematik besteht in einer solchen Konstellation nur die Möglichkeit der Aufhebung der rechtswidrigen Disziplinar-verfügung mit der Folge, dass die Behörde eine neue Verfügung erlassen muss.
b) Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG-E kann, um den Beamten zur Pflichterfüllung anzuhalten, ausgesprochen werden,
1. ein Verweis, wenn der Beamte durch ein leichtes Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die pflichtgemäße Amtsführung geringfügig beeinträchtigt hat,
2. eine Geldbuße, wenn der Beamte durch ein leichtes Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die pflichtgemäße Amtsführung nicht nur geringfügig beeinträchtigt hat,
3. eine Kürzung der Dienstbezüge, wenn der Beamte durch ein mittelschweres Dienst-vergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die pflichtgemäße Amtsführung erheblich beeinträchtigt hat,
4. eine Kürzung des Ruhegehalts, wenn der Ruhestandsbeamte ein mittelschweres Dienstvergehen begangen hat, das geeignet ist, das Ansehen des öffentlichen Dienstes oder des Berufsbeamtentums erheblich zu beeinträchtigen,
5. eine Zurückstufung, wenn der Beamte durch ein mittelschweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die pflichtgemäße Amtsführung nachhaltig erschüttert hat.
§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG-E gestaltet diese Maßnahmen als Ermessensentscheidungen aus. Sämtliche Bemessungsgesichtspunkte sollen uneingeschränkt der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegen; ein Beurteilungsspielraum des Dienstherrn wird ausdrücklich ausge-schlossen. Das gerichtliche Verfahren soll auf die Kontrolle der behördlichen Disziplinarverfügung beschränkt sein. Gelangt das Verwaltungsgericht bei der Prüfung der (Ermessens-)Entscheidung nach § 13 Abs. 2 BDG-E zu dem Ergebnis, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der von der Behörde ausgesprochenen Disziplinarmaßnahme nicht erfüllt sind, so erweist sich die Verfügung als rechtswidrig und muss aufgehoben werden. Eine „Reduzierung“ der rechts-widrigen Disziplinarverfügung der Behörde auf die nach Auffassung des Verwaltungsgerichts angemessene Disziplinarmaßnahme (etwa die Reduzierung der verfügten Zurückstufung auf eine Kürzung der Dienstbezüge), ist nach dem Entwurf wegen der Vorgabe der uneingeschränkten Disziplinarbefugnis des Dienstherrn künftig ausgeschlossen. Dass sich die diszip-linarrechtliche Ahndung durch diese Vorgehensweise erheblich verzögern wird, liegt nahe. Gleiches gilt, wenn das Verwaltungsgericht zwar die gewählte Stufe der Disziplinarmaßnahme nach § 13 Abs. 2 BDG-E grundsätzlich als zutreffend erachtet, aber das konkrete Ausmaß der Maßnahme im Lichte des Schuldprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als nicht angemessen ansieht.
3. Der Referentenentwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes orientiert sich grundsätzlich an den in Baden-Württemberg geltenden Vorgaben für das Disziplinarverfahren. Das dort geltende Recht sieht in § 21 Satz 1 AGVwGO BW vor, dass, soweit die Abschlussverfügung rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, das Gericht die Verfügung aufhebt. Ist ein Dienstvergehen erwiesen, so kann das Gericht nach § 21 Satz 2 AGVwGO BW die Verfügung auch aufrechterhalten oder zu Gunsten des Beamten ändern, wenn mit der gerichtlichen Entscheidung die Rechtsverletzung beseitigt ist. Gemäß § 21 Satz 3 AG VwGO BW finden die Vorschriften des Landesdisziplinargesetzes über die Bemessung von Disziplinarmaßnahmen Anwendung. § 113 VwGO bleibt nach § 21 Satz 4 AGVwGO BW im Übrigen unberührt. Auf eine Abschlussverfügung, die nach § 21 Satz 2 AGVwGO BW aufrechterhalten oder geändert wurde, findet nach § 21 Satz 5 AGVwGO BW § 40 LDG An-wendung. Die Handhabung dieser Vorschrift in Fällen, in denen dem Beamten eine Mehrzahl von Pflichtverletzungen vorgeworfen worden ist, im gerichtlichen Disziplinarverfahren jedoch nicht alle Pflichtverletzungen nachgewiesen werden konnten, ist auch im Hinblick auf die Gesetzesmaterialien (Gesetzentwurf der Landesregierung, Gesetz zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts, LT-Drs. 14/2996, S. 147 bis 149) in der Praxis nicht unproblematisch (BVerwG, Urteil vom 21. April 2016 – 2 C 4.15 – BVerwGE 155, 6 Rn. 76 bis 78 und Beschluss vom 29. Oktober 2021 – 2 B 34.21 – ZBR 2022, 164 Rn. 11 ff.). Dennoch trägt § 21 Satz 2 AGVwGO BW zu einer Beschleunigung des Disziplinarverfahrens bei. Der Referentenentwurf enthält keine vergleichbare Vorschrift, die in entsprechender Weise einen Beschleunigungseffekt zu erzielen vermöchte. Vielmehr spricht er den Gerichten die Disziplinarbefugnis ausdrücklich ab und beschränkt deren Handeln auf die Kontrolle der Disziplinarverfügung (vgl. etwa S. 31 oder S. 44 zu Art. 1 Nr. 28 Ref-E). Mängel der Disziplinarverfügung bei der Zuordnung des Dienstvergehens zu den Maßnahmen nach § 13 Abs. 2 BDG-E, die durch die Gerichte bislang relativ einfach behoben werden konnten, führten künftig zur Rechtswidrigkeit und Aufhebung der Disziplinarverfügung, wodurch das Disziplinarverfahren entgegen der erklärten Intention des Referentenentwurfs verzögert würde.
Berlin, den 5. Januar 2023
Dr. Robert Seegmüller
(Vorsitzender)