Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat für ein Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren: Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) bedankt sich für die Gelegenheit, zu dem Referentenentwurf für ein Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren aus fachlicher Sicht Stellung zu nehmen.
A. Zu Art. 1 Nr. 2 Buchst. a (§ 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG-E)
Im Wortlaut der vorgeschlagenen Ergänzung des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG-E ist, um die Verständlichkeit zu gewährleisten, nach dem Wort „sind“ ein Komma einzufügen.
B. Art. 1 Nr. 8 Buchst. a (zu § 24 Abs. 1 AsylG-E)
Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 AsylG-E unterrichtet das Bundesamt den Ausländer frühzeitig in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, über den Ablauf des Verfahrens, über seine Rechte und Pflichten im Verfahren, insbesondere über Fristen und die Folgen einer Fristversäumung, sowie über Rückkehrmöglichkeiten. Die Norm zielt auf die Umsetzung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a RL 2013/32/EU, der die Asylbehörde verpflichtet, den Antragsteller auch über die Folgen zu informieren, die es haben kann, wenn er seinen Pflichten nicht nachkommt und nicht mit den Behörden zusammenarbeitet. Hinter dieser Verpflichtung bleibt § 24 Abs. 1 Satz 2 AsylG-E insoweit zurück, als dieser nur eine Information über die Folgen einer Fristversäumung, nicht aber über die Folgen weiterer denkbarer Pflichtverletzungen oder des Unterbleibens einer Zusammenarbeit mit den Behörden vorsieht. Es dürfte sich zur Vermeidung unnötiger Auslegungsprobleme empfehlen, § 24 Abs. 1 Satz 2 AsylG insoweit stärker an den Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a RL 2013/32/EU anzulehnen.
C. Art. 1 Nr. 8 Buchst. b (zu § 24 Abs. 4 AsylG-E)
Gemäß § 24 Abs. 4 Satz 2 AsylG-E kann das Bundesamt die Frist auf höchstens 15 Monate verlängern, wenn sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht komplexe Fragen ergeben, eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig Anträge stellt, weshalb es in der Praxis schwierig ist, das Verfahren früher abzuschließen oder die Verzögerung darauf zurückzuführen ist, dass der Ausländer seinen Pflichten nach § 15 AsylG nicht nachgekommen ist. Die Norm ist der Umsetzung von Art. 31 Abs. 3 UAbs. 3 RL 2013/32/EU zu dienen bestimmt, dessen Gegenstand die Pflichten aus Art. 13 RL 2013/32/EU sind. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Pflichten nicht deckungsgleich mit den von § 24 Abs. 4 Satz 2 AsylG-E in Bezug genommenen Pflichten aus § 15 AsylG sind.
D. Art. I Nr. 19 (zu § 73b Abs. 8 Satz 2 AsylG-E)
In der Begründung zu § 73b Abs. 8 Satz 2 AsylG-E ist die Bezeichnung „VwGO“ zu streichen.
E. Art. 1 Nr. 21 Buchst. c (zu § 74 Abs. 3 AsylG-E)
Die Ergänzung des § 74 AsylG um den vorgeschlagenen Absatz 3 wird begrüßt.
F. Art. 1 Nr. 22 Buchst. a (zu § 75 Abs. 1 S 1 AsylG-E)
Gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG-E hat die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz nur in den Fällen des § 38 Absatz 1 sowie des § 73 Abs. 7 AsylG-E aufschiebende Wirkung. Nach § 73b Abs. 7 Satz 1 AsylG-E ergeht die Entscheidung des Bundesamtes über den Widerruf oder die Rücknahme schriftlich. Nach § 73b Abs. 7 Satz 2 AsylG-E ist sie zu begründen und ist ihr eine Rechtsbehelfsbelehrung beizufügen. Mitteilungen oder Entscheidungen des Bundesamtes, die eine Frist in Lauf setzen, sind gemäß § 73b Abs. 7 Satz 3 AsylG-E dem Ausländer zuzustellen. Die Inbezugnahme von § 73 Abs. 7 AsylG-E in § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG-E bedarf unter dem Gesichtspunkt der Rechtsklarheit einer ergänzenden Erläuterung in der Entwurfsbegründung, um den Gegenstand der Entscheidung, gegen die eine Klage auf- schiebende Wirkung hat, eindeutig zu definieren. In § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG-E ist zudem das Wort „der“ durch das Wort „des“ zu ersetzen.
G. Art. 1 Nr. 23 Buchst. b (zu § 77 Abs. 2 AsylG-E)
Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG-E kann das Gericht außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftli- chen Verfahren entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss nach § 77 Abs. 2 Satz 2 AsylG-E mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 AsylG-E von dem Gericht hinzuweisen. Die Ergänzung des § 77 AsylG um den vorgeschlagenen Absatz 2 wird begrüßt. Es wird angeregt, nach dem Wort „Verfahren“ die Wörter „durch Urteil“ einzufügen.
H. Art. 1 Nr. 23 Buchst. c (zu § 77 Abs. 3 AsylG-E)
Gemäß § 77 Abs. 2 AsylG sieht das Gericht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.
In der gerichtlichen Praxis hat sich gezeigt, dass in einer Vielzahl von Verfahren Asylkläger die Termine zur mündlichen Verhandlung ohne Angabe von Verhinderungsgründen nicht wahrnehmen. In diesen Verfahren ist regelmäßig zudem festzustellen, dass eine Förderung des asylgerichtlichen Verfahrens durch vorbereitende Schriftsätze ausbleibt. Zwar hat der Gesetzgeber mit § 81 Satz 1 AsylG eine Grundlage geschaffen, bei vermutetem Wegfall des Rechtsschutzinteresses eine Klagerücknahme zu fingieren. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sind allerdings strenge Anforderungen an eine entsprechende Aufforderung, das Verfahren zu betreiben, zu stellen.
Dem Verwaltungsgericht ist eine umfassende Bezugnahme auf die behördliche Entscheidung dann nicht möglich, wenn es die Begründung des Bescheides nicht in Gänze teilt oder es diesen nur aus anderen Gründen als richtig erachtet. Tritt der Asylkläger dem Bescheid indes in der Sache nicht entgegen und bleibt er zudem ohne zureichenden Grund der mündlichen Verhandlung fern, so sollte dem Verwaltungsgericht auch in diesem Fall die Möglichkeit eines Absehens von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe eröffnet werden. Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer entsprechenden Verfahrens- weise hinzuweisen. Ihnen ist das Recht vorzubehalten, der Verfahrensweise schriftsätzlich zu widersprechen. Die Entscheidung, ob das Gericht von der moderaten Erweiterung seines Handlungsrahmens Gebrauch machen möchte, ist in sein Ermessen zu stellen.
Gemessen daran sollte § 77 Abs. 2 AsylG wie folgt geändert werden:
Die Wörter „oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten“ werden gestrichen.
Die folgenden Sätze sollten angefügt werden:
Von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungs- gründe kann auch abgesehen werden, wenn die Beteiligten dem nicht bis zum Ende der mündlichen Verhandlung oder bei Verzicht auf mündliche Verhandlung spätestens mit Abgabe der Verzichtserklärung widersprechen. Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit eines Verfahrens nach Satz 1 mit der La- dung zur mündlichen Verhandlung oder vor einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hinzuweisen.
I. Art. 21 Nr. 23 Buchst. d (zu § 77 Abs. 4 AsylG-E)
Hält das Gericht einen in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag für unzulässig oder unbegründet, kann es die Ablehnung des Beweisantrags gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 AsylG-E mit der Entscheidung über die verfahrensabschließende Entscheidung verbinden. Die Beteiligten sind nach § 77 Abs. 4 Satz 2 AsylG-E auf die beabsichtigte Entscheidung hinzuweisen. Ihnen ist gemäß § 77 Abs. 4 Satz 3 AsylG-E Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Ablehnung ist nach § 77 Abs. 4 Satz 4 AsylG-E in der verfahrensabschließenden Entscheidung zu begründen. Die Ergänzung des § 77 AsylG um den vorgeschlagenen Absatz 4 wird begrüßt.
J. Art. 21 Nr. 23 Buchst. e (zu § 77 Abs. 5 AsylG-E)
Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt gemäß § 77 Abs. 5 Satz 1 AsylG-E Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, nach § 77 Abs. 5 Satz 2 AsylG-E eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Die Regelung des § 77 Abs. 5 AsylG-E wird dem Grunde nach begrüßt. In welchem Umfang Be- schleunigungseffekte zu erzielen sein werden, wird die Praxis erweisen.
K. Art. 1 Nr. 24 (zu § 78 Abs. 8 AsylG-E)
Gemäß § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG-E steht den Beteiligten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht 1. in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und 2. die Revision deswegen zugelassen hat. Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann nach § 78 Abs. 8 Satz 2 AsylG-E auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist gemäß § 78 Abs. 8 Satz 3 AsylG-E beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht nach § 78 Abs. 8 Satz 4 AsylG-E abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt gemäß § 78 Abs. 8 Satz 5 AsylG-E für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist nach § 78 Abs. 8 Satz 6 AsylG-E ausgeschlossen. Die Einfügung des § 78 Abs. 8 AsylG-E wird uneingeschränkt begrüßt. Der Begriff des Zielstaates in § 78 Abs. 8 Satz 1 und 3 AsylG-E ist zutreffend gewählt, da er nicht allein den Herkunftsstaat, sondern auch den Staat erfasst, in den ein Ausländer gegebenenfalls abgeschoben oder überstellt werden soll.
L. Art. 1 Nr. 25 Buchst. b (zu § 79 Abs. 2 AsylG-E)
Gemäß § 79 Abs. 2 AsylG-E darf das Oberverwaltungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Verwaltungsgericht nur zurückverweisen, wenn das Verwaltungsgericht 1. noch nicht in der Sache selbst entschieden hat oder 2. die allgemeine asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevante Lage in einem Zielstaat anders als das Oberverwaltungsgericht beurteilt hat und nach der abweichenden Beurteilung des Oberverwaltungsgerichts eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Das Verwaltungsgericht ist gemäß § 79 Abs. 2 Satz 3 AsylG-E an die rechtliche und tatsächliche Beurteilung der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts gebunden. Die Lockerung des Zurückverweisungsverbots in §79 Abs. 2 AsylG-E knüpft an Situationen an, in denen die beschränkten personellen Kapazitäten insbesondere, aber keineswegs ausschließlich kleinerer Oberverwaltungsgerichte durch erstinstanzliche Stattgaben in gruppenbezogenen Konstellationen ohne individuelle tatrichterliche Feststellungen in einer Weise gebunden werden, die die Wahrnehmung der diesem eigentlich zugewiesenen Aufgaben als Rechtsmittelgericht auch in anderen Rechtsgebieten nachhaltig beeinträchtigt. Eine entsprechende Regelung erscheint mit dem Ziel einer sachgerechten Res- sourcenverteilung zwischen den Instanzen tragfähig. Ob eine Zurückverweisung zugleich eine beschleunigte Erledigung der zurückverwiesenen Verfahren fördert, wird die Praxis erweisen.
M. Art. 1 Nr. 25 Buchst. c (zu § 79 Abs. 3 AsylG-E)
Gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 AsylG-E kann der Senat in Streitigkeiten nach diesem Gesetz das Berufungsverfahren einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn der Senat eine Entscheidung zu der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in dem Zielstaat getroffen hat, die nicht durch eine entscheidungserhebliche Veränderung der Lage überholt ist, die Sache sonst keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat. § 76 Absatz 2 und 3 gelten nach § 79 Abs. 3 Satz 2 AsylG-E entsprechend. § 79 Abs. 3 AsylG-E wird uneingeschränkt begrüßt.
Berlin, den 22. Oktober 2022
Dr. Robert Seegmüller (Vorsitzender)